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Poetry Slam

Der Poetry Slam war ein wirkliches Highlight des Menschenrechtesymposiums.

Eine Teilnehmerin war aus unserer Region und auch Ihr Text bezog sich auf belasteten Boden in der Bewusstseinsregion. Hier möchten wir sie und ihren berührenden Text vorstellen.

Elisabeth Stütz, geb. 1987 in Freistadt, wohnt in St.Georgen / Gusen, begeisterte Imkerin, Lesbe, Feministin & Atheistin, engagiert sich für Flüchtlinge und für die Bewusstseinsregion, schreibt Gedichte, war Wissenschaftlerin und wohnte in Innsbruck, Oldenburg und Wien, ist beruflich im Sozialbereich tätig.

Gewinnerin des Poetry Slams!

Herzlichen Glückwunsch an die Gewinnerin Kaddles. Sie hat mit ihrem Text das Publikum starkt beeindruckt.

Kaddles stammt aus der wunderschönen Stahlstadt Linz und hat bereits im vergangenen Jahr liebevoll Oberösterreich unterwandert. Der Rest des Landes sollte folgen. Er folgte, sie ging voran - mit Schirm, Charme und Chuzpe - eroberte Bühnen und Finalrunden von Meisterschaften. Neben dem Schreiben ist sie Teilzeitstudentin und Teilzeitmusikerin.

Hast du gefragt?

Elisabeth Stütz, 11.11.2017

Ich kenne die Häuser. Ich bin hier nicht aufgewachsen, aber ich kenne sie. 

Wenn wir in meiner Kindheit von den einen Großeltern zu den anderen fuhren, von St. Georgen nach Langenstein, sah ich sie. Die Baracken in Gusen, das Memorial aus grauem, fahlem Beton. Schau! - dort ist die alte Bahntrasse.

Ich weiß, wo das KZ war.

Wenn man, Richtung Langenstein, am Ende von Gusen direkt nach der Baracke an der Straße, links hinein fährt, an den Industriegebäuden vorbei, hinauf, noch zwei Kurven nimmt, gelangt man zu meinen Bienen.

Im Schutz eines kleinen Hügels stehen sie, vor ihnen ein paar Meter, dann fällt die Erde ab und ergießt sich in Wildnis. Es ist ein guter Stand. Mit reicher Tracht. Von den Weiden im Frühjahr über die Brombeeren im Sommer bis zum wuchernden indischen Springkraut. Dessen Pollen im Herbst noch Sanduhren auf die Rücken der Bienen malt.

Als ich zu imkern begann, vor 3 Jahren meinem Großvater dabei half, wollte ich die Lage des Bienenstands genau wissen. Ich habe Satellitenbilder mit den Karten des KZ verglichen. Da sind einige Bauten, darunter liegt ein Steinbruch, darüber liegt ein anderer, aber mein Bienenstand liegt nur am Rand des Lagers. Unten, dort wo jetzt die Häuser stehen, da war das KZ, aber nicht hier oben, nicht dort, wo meine Bienen leise summen.

Manchmal treffe ich Leute, die meinen: "Wir haben ja von nichts gewusst. Uns ist ja nichts erzählt worden. Die Menschen, die damals lebten, die haben ja nichts erzählt." 

Dann denk ich mir.

Hast du auch wirklich gefragt? Hast du wirklich nachgefragt?  Nicht nur die leichten Fragen, nicht nur: "Wie war das damals?" Wo dann die glücklichen Heimkehrergeschichten kommen.

Nein. Die schwierigen Fragen. Die, deren Antwort du fürchtest?

Ich weiß es noch genau. Es war diesen Frühling, ein weißer Zettel mit einer langen Liste. Mit den denkmalwürdigen Objekten in Gusen. Es ist Mai, es ist warm und ein Name bleibt hängen: Kastenhofer Oberbruch. Ich sehe den Namen und frage nach, frage Martha Gammer. Ja, sagt sie, ja. Und sie erzählt mir mit festem Blick und eindringlicher Stimme.

Wenn man am letzten Bauernhaus vorbei geht, den Feldweg hinauf, am Schuppen entlang, sich nach Süden wendet, stehen zur rechten Hand, direkt neben dem Weg, meine Bienenstöcke. Geht man durch die fortfliegenden Bienen hindurch, folgt dem Weg, steht man nach wenigen Metern am Oberrand eines Steinbruches. Unter einem liegen nun das Industriegelände, die Häuser von Gusen und weiter weg die Donauauen. Bahnt man sich dann den Weg nach Norden durchs hohe Gras oder den nassen Schnee gelangt man an eine Engstelle. Zu beiden Seiten türmt sich der Granit empor. Einem Tor aus Stein gleich, des Eingang zum kreisrunden Steinbruch, der vor einem liegt wie eine Arena des Todes. Ringsum hoher, steiler Granit. 

Hier wurden die KZ-Insassen heraufgetrieben, hier wurden sie zu Tode gefoltert. Am Weg hinaus, hinunter zum Lager, wurden ihnen dann die Schädel zertrümmert. Am Weg. Dort wo meine Bienen stehen. Genau dort ist der Boden blutgetränkt und er bleibt blutgetränkt.

Ich wollte es nicht wissen. Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich habe nicht gefragt. 

Es ist ein guter Platz, Urwald, weil da Steinbrüche waren, weil hier das KZ war. Die Bienen profitieren davon. Sie bringen mir viel Honig. Ich profitiere davon, und ich wohne hier erst seit zweieinhalb Jahren hier.

Fragt die Fragen, deren Antwort ihr fürchtet.
Rechnet damit, dass Antworten kommen, die euch nicht gefallen.
Die schwer sind. Die euch zum Nachdenken bringen. Die euer Denken ändern. Und eurer Handeln.
Wer wirklich zuhört,
Wer wirklich begreifen will, muss bereit sein, sich zu irren, um Neues verstehen zu können.
Ich will's begreifen, immer noch.
Warum? Warum das Ganze?
Und da helfen die Fakten nicht. Sie sind wichtig und notwendig. Sie sind der Start und der Angelpunkt, der Anker. Ohne sie geht es nicht.
Aber Begreifen ist Gefühlssache.
Es geht um die Ohnmacht.
Um die Hilflosigkeit
Um Angst und Wut
Um die Unmenschlichkeit, die doch ach so menschlich ist.
Um die der Nazis damals und um die jetzt in uns selbst.
Wenn Nazis Menschen töten in dem Ausmaß, mit dem Hass - kann ich es dann auch?

Hast du gefragt? Hast du wirklich zugehört? Mit festem Blick und der Bereitsschaft, dich zu irren und zu lernen?

Elisabeth Stütz, geb. 1987 in Freistadt, wohnt in St.Georgen / Gusen, begeisterte Imkerin, Lesbe, Feministin & Atheistin, engagiert sich für Flüchtlinge und für die Bewusstseinsregion, schreibt Gedichte, war Wissenschaftlerin und wohnte in Innsbruck, Oldenburg und Wien, ist beruflich im Sozialbereich tätig.